An dieser Stelle soll nun nicht über die gesamte „Germanische Mythologie“ und deren innerlicher Zusammenhang gesprochen werden, sondern es soll ein Versuch gemacht werden, die Religion der Wikinger neu entstehen zu lassen und in die heutige Zeit zu projizieren.
Wir wissen einiges über die Feste und Opferpraktiken der Wikinger aus Eddatexten und von verschiedenen arabischen und christlichen Gesandten, die des öfteren solche Praktiken und Riten festgehalten haben. Wenig wissen wir allerdings von den Opferplätzen, heiligen Hainen und den Tempeln an den heiligsten Stellen in Skandinavien. Wie mögen diese Tempel ausgesehen haben, gab es religiöse Führer und welche Götter standen für welche Region im Vordergrund? Für uns sind das alles ungelöste Fragen.In dem Buch „Die Wikinger – Lebensform, Waffen, Eroberungen; von Nordenstreng/Strasser“ heißt es in einem Abschnitt über Norwegen:
„Sigurd stand allen Opferfesten dort in Trondheim an Stelle des Königs vor. Es war alter Brauch, dass, wenn ein Blutopfer stattfinden sollte, alle Bauern an die Stätte zu kommen hatten, wo das Heiligtum stand, und dass sie dorthin alle Lebensmittel mitzubringen hatten, die sie brauchten, solange das Fest währte.
Und zu diesem Fest sollen außerdem alle Männer Bier mitbringen. Man schlachtete auch Vieh aller Art und besonders Pferde. Alles Blut aber von diesen nannte man Opferblut, die Schalen, in denen das Blut stand, heißen Opferschalen, die Opferwedel waren nach Art von Sprengwedeln gemacht. Mit diesen sollten die Götteraltäre allesamt bespritzt werden, ferner die Wände des Weihtums innen und außen. Auch auf die Menschen sollte man das Opferblut mit ihnen sprengen.
Das Fleisch aber sollte gesotten werden zu frohem Schmaus für die Anwesenden. Feuer waren in der Mitte angezündet und Kessel sollten darüber sein, und man sollte die vollen Becher über das Feuer hinreichen. Der Veranstalter und Leiter des Festes aber sollte die Becher und die ganze Opferspeise segnen. Zuerst sollte man den Odinsbecher für den Sieg und die Herrschaft seines Königs trinken, und danach die Becher des Njörd und des Frey für ein fruchtbares Jahr und Frieden, danach pflegten manche Männer den Bragni–Becher zu trinken. Man trank auch Becher auf seine Verwandten, die schon im Grabe lagen, und diese nannte man Gedächtnisbecher.“
So wird hier an dieser Stelle ein Opferfest in Norwegen beschrieben.Nach meiner Meinung dürfte sich die Religionsausübung in jeder Region in Skandinavien unterschieden haben, wie es teilweise heute mit anderen Religionen auch der Fall ist. So behaupten die einen, Thor wäre der wichtigste Gott der Bauern und freien Krieger und dabei wird er im oben beschriebenen Text nicht einmal erwähnt.
Aus dem großen Tempel zu Uppsala ist bekannt, das drei Statuen dort errichtet waren. Thor stand in der Mitte zwischen Odin und Frey. So kann man erkennen, das in Schweden die Götterwelt und deren Bedeutung schon anders ausgesehen haben kann als in den Gauen von Trondheim.
Die Feste, die von den Wikingern gefeiert wurden, dürften terminlich gesehen mit den heutigen christliche Feiertage fast gleich gelegen haben. Die heidnischen Feste wurden teilweise einfach von den Christen übernommen oder ganz in deren Nähe gelegt, da dies die Missionierung gefördert haben dürfte. Die Menschen des Nordens mussten von Beginn der Besiedlung von Skandinavien eng mit der Natur zusammenleben und sich den natürlichen Begebenheiten anpassen. So wie sie das taten passten sie auch ihre Feste dem Lauf der Natur an. Betrachten wir nur einmal die Winter- und Sommersonnenwende. Diese Feste standen ganz eng mit dem jahreszeitlichen Wechsel in Verbindung. So war die Wintersonnenwendfeier die Freude auf die nun wieder länger werden Sonnenabschnitte im dunklen Norden, wobei die Sommersonnenwende, aus meiner Sicht mit einer Art Erntedankfest zusammengebracht werden könnte. Wie und wo diese Feste allerdings gefeiert wurden und was das genaue Ziel war, können wir leider nur vermuten.
Weitere Berichte über die Religionsausübung der Wikinger hören wir bei Ibn Fathlan, einem arabischen Gesandten, der im 10. Jahrhundert, an der Wolga, auf schwedische Wikinger trifft:
„Sobald ihre Schiffe zu diesem Ankerplatz gekommen waren, ging jeder von ihnen an Land hatte sein Brot, Fleisch, Zwiebeln, Milch und Bier bei sich, ging hin zu einer hoch aufgerichteten Holzstütze mit einem Gesicht, dass wie ein menschliches Gesicht aussieht. Rund um sie befinden sich kleine Figuren und hinter den Figuren hohe Holzstützen, die unten in die Erde eingesetzt sind. Er geht dann hin zu der großen Figur, wirft sich auf die Erde und sagt: `Oh mein Herr ich bin von fernher mit vielen Mädchen und vielen Zobelfellen gekommen `,dann zählt er alle Handelswaren auf, `ich komme nun zu dir mit dieser Opfergabe`. Danach legt er das, was er bei sich hat vor der Holzstütze nieder. `Ich wünsche, dass du mir einen Kaufmann schickst, der viele Dinare und Dirhems hat und der von mir kauft was ich wünsche und der mir nicht wiederspricht bei dem was ich sage`. Dann geht er fort. Wenn sein Handel träge verläuft und die Zeit sich in die Länge zieht, dann kommt er mit einer oder zwei weiteren Opfergaben wieder. Verläuft es zu schwierig für ihn, bringt er jeder der kleinen Statuen eine Opfergabe und bittet sie um Fürsprache, in dem er sagt: `Dieses sind unseres Herrn Ehefrauen, Töchter und Söhne`, dann fleht er eine Figur nach der anderen an, in dem er zu ihnen betet, und möchte sie dazu veranlassen, Fürbitte für ihn zu leisten, und demütigt sich vor ihnen. Oft nimmt der Handel einen guten Verlauf für ihn, so dass der Verkauf zustande kommt . Dann sagt er: `Mein Herr hat mein Bedürfnis gestillt, nun ist es meine Pflicht, ihm zu vergelten`. Dann geht er hin zu einer Schar Ziegen oder Hornvieh und tötet sie. Etwas von dem Fleisch gibt er als Almosen. Den Rest trägt er fort und wirft ihn zwischen die große Holzstütze und die kleinen Figuren, die sie rings umgeben. Die Köpfe der Ziegen und des Hornviehs hängt er an die Holzstütze, die unten in die Erde eingelassen ist.
Tacitus berichtet schon zur Zeit der alten Römer davon, dass die angetroffenen germanischen Stämme ihre Religion, nicht wie im römischen Reich üblich, in Tempeln, sondern im Wald verrichteten. Dies mag auch für die Wikinger in gewisser Weise zugetroffen haben. Es bestanden zu Beginn der Wikingerzeit wohl nur wenige überregionale Kultstätten und Tempel, da diese mächtigen Ritusplätze wahrscheinlich den Königen oder den Jarlen der einzelnen skandinavischen Ländern zugeordnet waren, die sich erst im Laufe der Wikingerzeit herausbildeten und ihre Macht ausweiten und festigen konnten. Der bekannteste Opferplatz war der Tempel zu Uppsalla, wo vermutlich der schwedische König die großen Opferfeste und Feiertag wie das „Blutfest“, das alle neun Jahre stattfand, abhielt.
Auf den einzelnen Gehöften der Wikinger war jeder Hausherr für die Ausübung und die Durchführung religiöser Handlungen verantwortlich. Da es vermutlich keine Priesterschaft gab, war der Hofbesitzer oder Hallenbesitzer gleichzeitig der Gode, Tempelbesitzer und Opferleiter. Der Platz zur Verehrung der Götter veränderte sich im Laufe der Wikingerzeit. Ging man am Anfang noch in heilige Haine, wo meist mächtige uralte Bäume standen, so ging man später dazu über Geländepunkte in der Landschaft auszuwählen, die durch ihre besondere Lage für „götterwürdig“ erachtet wurden. Gemeint sind hier vor allem Felsplateaus, Einzelfelsen und Felswände, die imposant sein musste wie es die nordischen Götter auch sein sollten. Man begann dann nach und nach diese Kultstätten mit Steinkreisen einzufrieden und später baute man Dächer oder Schutzräume für Opferstatuen und Reliquien. Leider weis man heute nicht mehr genau wie eine solche Kultstätte oder ein Opferplatz ausgesehen haben kann, da mit der Einführung des Christentums die heidnischen Plätze verschwanden und feste Kirchen fast auf jedem größeren Hof in Skandinavien errichtet wurden.
Neben den germanische Hauptgottheiten der Asen und Wanen glaubten die Menschen aus dem Norden an allerlei Geister und Dämonen, die fast in jeder Sache des täglichen Lebens steckten. Deshalb versuchten die Menschen durch das Räuchern von Kräutern im Haus etwa, böse Geister vom Wohnraum fernzuhalten. Auch der Glaube an den Einfluss der Toten, vor allem wenn sie ehrlos oder durch feige Taten zu Tode gekommen waren, steckte tief in den Gedanken der Menschen.
Man fand so, wie es Menschen auch heute immer noch gerne tun, einen Schuldigen für alles, was passieren konnte.
Durch Opfer an die guten Götter und Geister versuchten die Menschen also ebenfalls Erlittenes zu erleichtern oder auf das Schicksal Einfluss nehmen zu können. Dabei spielten auch die Nornen und hier besonders Urd, die Norne der Zukunft eine große Rolle, weil auch ihr immer wieder um ein gnädiges Schicksal für Familienangehörige oder um das Heil der betreffende Person selbst, geopfert wurde.
Feuer spielte bei den Gebräuchen der Wikinger eine enorme Rolle. Da die Witterung im kalten und dunklen Norden fast das ganze Jahr hindurch wenig Anlass zur Freude gab, war das Feuer teilweise einzige Licht- und Wärmequelle. Außerdem half es die Toten, nachdem sie gestorben waren, vor dem Angriff der Würmer und Maden im Boden zu schützen und ermöglichte den tapfersten sogar das Seelenheil in der Halle Odins. Ebenfalls verbrannte man damals wie heute immer noch die Lasten des Winters in den Frühlingsmonaten und bat gleichzeitig um eine gut und üppige Ernte für den Sommer und Herbst.
Quelle: karls-sippe.de